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10.09.2012

Wie leben Christen in Palästina?

Dr. Mitri Raheb war zu Gast beim Freundeskreis Bethlehem im Dietzhölztal. Er hielt einen Vortrag zur Situation in seinem Land...

„Christen in Palästina – Welche Zukunft erwartet sie?“ Mit Dr. Mitri Raheb und Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit gaben zwei kompetente Referenten Antwort und zeigten die aktuelle Situation der Christen im Nahen Osten und die Tendenzen für die Zukunft auf.


Von Ute Jung

 

Auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Ewersbach und des Freundeskreises Betlehem gaben sie 150 interessierten Zuhörern in der Mehrzweckhalle Auskunft zu diesem brisanten Thema. Raheb, Pfarrer der Weihnachtskirche und und Gründer des Internationalen Begegnungszentrums in Betlehem, verglich Palästina mit einem Emmentaler Käse: „Betlehem ist eins von den (Käse)löchern, wo die Christen hinein getrieben werden.“ Es sei keine rosige Zukunft, die Christen und Muslime hier erwarteten. Hinter den acht Meter hohen Mauern (teilweise erreichen die Mauern in Palästina eine Höhe von 14 Metern) nehme vor allem dies zu: Arbeitslosigkeit, soziale Probleme, Gewalt und psychologische Probleme. Von letzterem seien über 80 Prozent der Palästinenser betroffen.

 

Raheb zeigte eine Bestandsnahme der Religionen im arabischen Ländern der letzten 100 Jahre auf, aus der ersichtlich wurde, dass das Christentum dort im Rückzug ist. Gerade in der Türkei, die zu Paulus Zeiten ein florierendes Christentum aufwies, seien nach der Ermordung von 1,5 Millionen armenischen und syrisch-orthodoxen Christen im Osmanischen Reich, kaum mehr Christen zu finden. Während Mitte 1948, kurz vor der Staatengründung Israels, acht Prozent der Bevölkerung Palästinas Christen gewesen seien, hätte sich diese Zahl durch Vertreibung innerhalb weniger Monate auf 2,4 Prozent dezimiert.

 

Auch der „Arabische Frühling“ verstärke die Entwicklung: „Ein Land nach dem anderem verliert dort seine Christen.“ Angst vor Repressalien ließe viele Christen aus den dortigen Gebieten fliehen. Auf Palästina habe die Rebellion eher weniger direkte Auswirkungen gehabt. Präsenter sei hier immer noch der israelisch-palästinensische Konflikt. „Die Lösung scheint so weit weg wie nie zuvor“, malte Raheb den Zuhörern ein ernüchterndes Bild vor Augen. Gerade deswegen sei Glaube in diesem Gebiet so nötig wie nie zuvor. Es gelte zu entscheiden, welcher Geist hier herrschen solle: Entweder eine Kultur der Gewalt oder eine Kraft der Kultur. Hier setze die Arbeit an, die der Freundeskreis Betlehem und der Förderverein Betlehem Akademie unterstütze, die sich beide unabhängig voneinander vor 25 Jahren gründeten. Durch sie konnte unter anderem eine Schule, ein Konferenzzentrum, eine Fachhochschule, ein Gesundheitszentrum und ein Kindergarten errichtet werden. „Wo Menschen solchen Belastungen ausgesetzt sind, holen wir sie aus diesem Kontext heraus“, erklärte Raheb. Es sei christliche Hoffnung, die dazu befähige, in ein Land zu investieren, wo „kein Mensch mit einem gesunden Hirn investieren würde“. Die Hoffnungslosigkeit dürfe nicht überhand gewinnen.

 

Politische Bildung sei sehr wichtig, um Führungskräfte für das Land zu finden, denn: „Gute Führungskräfte haben wir bisher eigentlich nicht.“ Derzeit bilde die Akademie 270 junge Erwachsene aus, davon seien 90 Prozent Muslime. Plötzlich erlebten diese Freiheit, hätten „Träume, die Freiheit atmen“, wie es ein studierender Muslim formulierte. Die Arbeitslosigkeit sei in Palästina mit 26 Prozent sehr hoch. Bei studierten jungen Menschen sei sie mit 45 Prozent ungleich höher. Es gebe 2200 Schulen in Palästina. Nötig wären an jeder Schule mindestens ein Musik-, Kunst- und Sportlehrer. Doch gebe es beispielsweise nur 18 Musiklehrer in der ganzen Region. „Ohne Bildung hat die Region keine Zukunft“, sagte Raheb und verwies darauf, dass es 35,6 Prozent Analphabeten in Palästina gibt. Viel investiert Raheb und seine über 100 Mitarbeiter in die Arbeit mit Jugendlichen, Studenten, Frauen und Senioren. Die demografische Entwicklung in Palästina ist nicht mit der in unseren Gefilden vergleichbar: Nur 3,5 Prozent Senioren stehen 55 Prozent der unter 18jährigen gegenüber. Alte Menschen haben es in Palästina schwer. Sie bekommen keine Rente und fallen im Alter von 60 Jahren aus der Krankenversicherung. Seniorenarbeit in Palästina werde bisher nicht sehr wichtig genommen und bestünde aus Essensversorgung und Pulsmessen.

 

Die Seniorenarbeit, die im „IBZ“ (Internationalen Begegnungszentrum in Betlehem) angeboten würde, stehe unter dem Titel „Leben in Fülle“ und sei mit eigenem Chor, Theater und TV-Programm die größte in Palästina. Durch diese hätten die Senioren wieder Mut zum Leben gefunden. Das Fazit Rahebs: „Ohne unsere Arbeit wäre die Lage in Palästina viel trostloser.“

 

Mit Raheb Mitri habe ein „Visionär“ gesprochen, erklärte Manfred Manderbach, Vorsitzender des „Freundeskreises Betlehem“. Bischof Abromeit, der im Anschluss referierte, sei ein kühler Analytiker. „Wer nach der Zukunft der palästinensischen Christen fragt, muss die Problemknoten sehen und versuchen zu lösen“, erklärte Abromeit zu Beginn seines Referates. So habe das Erbe des europäischen Nationalismus auch Konsequenzen auf anderen Kontinenten. Durch ihn sei auch der aufkommende Zionismus entstanden. Die alttestamentarischen Landverheißungen der Juden würden von einem gemeinsamen Wohnen von Juden und Christen ausgehen.

 

Der Slogan „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ habe nichts mit der Realität in Israel zu tun. Ein weiterer „Problemknoten“ sei das Erbe kolonialistischer Machtpolitik. Die Briten hätten den Juden eine nationale Heimstädte versprochen, um weiterhin einen Fuß in der Region zu behalten. Quasi eine Sekundärfolge der Judenvernichtung sei die Gründung des Staates Israel gewesen. Gerade in Deutschland sei durch Schuldgefühle eine „Überidentifikation mit Israel“ entstanden.

 

Ein weiteres Problem sei die religiöse Aufladung Israels, wo es keine Unterscheidung zwischen Politik und Religion gebe. Aussagen der Bibel würden aus dem Zusammenhang gerissen. Es gebe im kompletten Neuen Testament keine Legitimation für die Staatsgründung Israels, betonte der Bischof. Im Neuen Testament werde klar: „Gott bindest sich nicht an ein bestimmtes Territorium.“ Jesus habe schließlich Gewaltlosigkeit – auch im politischen Bereich – gepredigt. „Ein Land gibt Heimat. Ein Land braucht aber keine Erlösung“, betonte Abromeit. Als junger Mann lebte Abromeit für ein Jahr in Palästina und erlebte die – oft mehrtägige - Ausgangssperre hautnah mit. Oft habe die israelische Armee in diesen Tagen auch noch die Wasserbehälter auf den Dächern der Häuser zerschossen. Palästinensische Christen bräuchten den weltweiten Kontakt zu ihren Glaubensgeschwistern. „Wir als Christen in Deutschland müssen uns fragen, ob wir nicht auch Verantwortung für christliche Existenz im Nahen Osten haben“, schloss der Bischof seine Ausführungen.

 

Im Anschluss gab es für die Zuhörer die Möglichkeit Fragen zu stellen. Auf ausgelegten Kärtchen konnten die Fragen schon während der Vorträge notiert werden. Als „Anwälte des Publikums“ sammelten Pfarrerin Angelika Angerer und Dr. Uwe Seibert vom Evangelischen Dekanat Dillenburg die Fragen, bündelten sie und gaben sie an die Referenten weiter.

 

Hierbei wurde ein breites Spektrum an Fragen gestellt. Die Frage nach der Beziehung zwischen arabischen Christen und messianischen Juden und ob Muslime die Glaubensauslebung der Christen behinderten gehörten dazu. Raheb erklärte, dass die messianischen Juden sich in einer sehr schwierigen Situation befänden. Gerade deswegen nähmen sie oft radikale Stellungen ein, um zu beweisen, dass sie Juden seien. In Betlehem gebe es keine Konflikte zwischen Christen und Moslems informierte Raheb.

 

Anders sei die Situation der Christen im Gazastreifen. In diesem Gebiet gebe es keinen palästinensischen Pfarrer mehr. Hier seien „die Hirten abgehauen und hätten ihre Schafe zurückgelassen“ und es herrsche große Not unter den Christen. Auf eine andere Problematik wies die Fragestellung hin, die sich mit dem Bleiberecht der Palästinenser befasst. Denn verlässt dieser für sieben Jahre seine Heimat, verliert er sein Aufenthaltsrecht und kann dies nicht mehr zurückerlangen. „Dahingegen berufen sich die Juden auf ein 4000 Jahre altes Recht“, gab Raheb zu bedenken.

 

„Wie soll sich Israel gegen die palästinensischen Selbstmordattentäter schützen?“, fragte ein Zuhörer. Ein besserer Schutz gegen Attentäter als eine Mauer zu errichten, sei es gemeinsam nach Lösungen zu suchen, erklärte Bischof Abromeit. Auch Raheb betonte: „Die Mauer ist keine Lösung, sondern ein Teil des Problems. Die Israelis haben nicht das Recht, meine Freiheit in Frage zu stellen und meine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Die Lösung heißt Frieden.“

 

„Warum sollten junge Menschen in Palästina versauern?“, wollte ein anderer Zuhörer wissen. Diese Frage, so bemerkte Bischof Abromeit, könne auch in Pommern gestellt werden. Der Wegzug junger Menschen werde zu einem schwierigen Problem für eine Gesellschaft. Raheb erklärte am Beispiel einer Palästinenserin, die an einer Universität in Michigan unterrichtete und zurück nach Palästina kam, dass sie diese Entscheidung nie bereut habe. „Sinn im Leben ist wichtiger als Geld“, hätte sie erfahren. Auch die Frage nach der Position, die palästinensische Christen zur alttestamentarischen Landesverheißung an die Juden hätten, wurde gestellt. „Wir haben Schwierigkeiten“, antwortete Raheb, „ wenn aus religiösen Überzeugungen politische Ansprüche entstehen.“ Es sei total undenkbar, dass im Namen der Gottesrechte Menschenrechtsverletzungen entstünden. „Die meisten Juden glaube nicht an Gott. Aber die meisten Juden glauben, dass Gott ihnen das Land gegeben hat“, sei ein häufig gemachter Witz mit ernstem Hintergrund.

 

Bischof Abromeit hielt es für wichtig, zwischen Altem und Neuem Testament zu unterscheiden: „Im ganzen Neuen Testament gibt es keine Bezugnahmen darauf, dass Gott als Gabe für die Juden ein Land vorgesehen habe.“

 

Der Kontakt zwischen Raheb und der Kirchengemeinde in Ewersbach besteht schon seit Jahrzehnten und entwickelte sich während Rahebs Studienzeit in Marburg.

 

» Kontakt:

Angelika Angerer, Telefon 02774 / 9111 36

Manfred Manderbach, Telefon 02774 / 41 64

 


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