Sie sind hier: Home > Neues & Termine > Nachrichtenarchiv
27.06.2012

Gottesdienst für die Augen

Fliegende Hände und viele Gesten: Alles mit Mimik, den Händen und dem ganzen Körper zu erzählen, das berührt: Denn viele der Bilder und Gebärden überzeugen, weil sie – viel stärker als Worte – Empfindungen ausdrücken...

Foto: Ute Jung


Von Ute Jung

 

Es ist eigentlich ein ganz „normaler“ Gottesdienst: Die 250 Christinnen und Christen begrüßen sich sehr herzlich mit Umarmungen, die Kirchenglocken läuten, der Chor und die Gemeinde singt und ein Pfarrer hält die Predigt.

 

Doch es gibt da einige Elemente, die ihn von anderen Gottesdiensten unterscheiden: Die Begrüßungen erfolgen fast geräuschlos und die Kirchenglocken läuten nur optisch an einer Leinwand, alles völlig ohne Ton – auch der Chor und die Gemeinde singen nicht wirklich, sondern „bewegen“ sich ganz ohne Musik – beim Kirchentag der Gehörlosen.

 

Hier in der Bärenstadt Herborn an der Dill haben Gottesdienste in Gebärden-Sprache eine lange Tradition. „In Herborn wurden nachweislich um 1910 erste Gehörlosen-Gottesdienste gefeiert“, berichtet Pfarrer Detlef Schmidt aus Dillenburg. Er ist einer der Organisatoren der Landeskirchenübergreifenden Veranstaltung.

 

Der Gehörlosen-Kirchentag wird getragen von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck (EKKW) und der Evangelischen Kirche in der Pfalz, der Gehörlosen-Kirchentag findet alle zwei Jahre statt - zuletzt in Marburg an der Lahn.

 

Verkehrte Welt: Wer als „Hörender“ beim Kirchentag der Gehörlosen teilnimmt, fühlt sich etwas ausgegrenzt. Denn die Sprache, die hier die Mehrheit spricht, ist den wenigsten „Hörenden“ bekannt. „Die Gebärdensprache ist eine wunderschöne, lebendige Sprache“, erklärt Pfarrerin Ursula Wendt aus Friedberg, die seit sechs Jahren – gemeinsam mit sechs weiteren Seelsorgern – hilft, den Kirchentag der Gehörlosen vorzubereiten. Die Gehörlosen hätten nicht nur eine eigene Sprache mit eigener Grammatik, sondern eine eigenen Kultur, eine eigene Poesie und ein eigenes Liedgut, erklärt die Geistliche.

 

Pfarrer Detlef Schmidt ergänzt, die Gesten haben den Vorteil, mit einer Gebärde gleich mehrere mögliche Informationen übertragen zu können: „Allerdings gibt es keine universelle Gebärdensprache. In nahezu jedem Land hat sich eine eigene Gebärdensprache in Anlehnung an die jeweils umgebende Kultur entwickelt“, sagt Schmidt.

 

Das Thema des Kirchentages lautete „Gutes und Barmherzigkeit...?!“ und bezog sich auf den Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte.“ Überraschend vielseitig wird der Bibeltext den Christen sinnbildlich verdeutlicht. Eine Multimedia-Präsentation begleitet die Predigt und eine Pantomimen-Gruppe veranschaulicht den biblischen Inhalt. Leise geht es im Gehörlosen-Gottesdienst allerdings nicht zu: Denn immer wieder gibt es spontane Freudenlaute oder ein Lachen der Anwesenden zu hören.

 

Manche „Vokabeln“ der Gebärdensprache sind auch für den Laien verständlich. Dass die geballte Faust mit dem Daumen nach unten etwas Negatives bedeutet, ist jedem sofort klar. Oder dass die Hand nahe am Herzen, Begriffe wie Liebe und Barmherzigkeit wiedergibt, ist auch gut verständlich.

 

Zwei Gebärdenchöre (aus Kassel und Darmstadt) bereichern die Veranstaltung. Die synchronen Bewegungen, durch welche die Sänger „singen“, sind beeindruckend. Kein Ton kommt über die Lippen der Sänger. Nur die Münder bewegen sich, damit die Gottesdienstbesucher auch von den Lippen ablesen können. Immer wieder gibt es auch kleine Solos zu „hören“. Dann „bewegt“ sich nur einer der Sänger, während die anderen still stehen.

 

Pfarrerin Brigitte Kapraun interviewt drei Gemeindesprecherinnen aus ihrer Gemeinde in Darmstadt. Ihre persönlichen Zeugnisse berühren. Eine 75jährige berichtet von den Kriegserlebnissen in ihrer frühen Kindheit. Eine zweifache Mutter erzählt aus ihrem Leben. Auch ein weiblicher Single, deren Eltern verstorben sind und die sich als einzige Gehörlose in ihrem Ort manchmal etwas einsam fühlt, berichtet über den Trost, den sie in ihrem Glauben findet.

 

Während des Gottesdienstes sind auch Vertreter der Kirche und der Politik anwesend. Sie alle werden mit einem herzlichen Applaus begrüßt – allerdings ist dieser überhaupt nicht zu hören. Denn Applaus findet in der Welt der Gehörlosen visuell statt. Nach dem Gottesdienst und dem gemeinsamen Mittagessen besuchten die Christen die Herborner Innenstadt. Hier fand auch eine interessante Führung statt, die ein Gehörloser aus Herborn leitete.

 

Ein gemeinsames, gemütliches Kaffeetrinken in der Konferenzhalle beendete den fröhlichen, ungewöhnlichen Kirchentag – ganz ohne Musik und Lieder.

 

Die Gehörlosen-Gemeinden haben ihr eigenes Gemeindeleben. Etwa sechstausend gehörlose Menschen gibt es in Hessen, schätzungsweise 80.000 in Deutschland. Viele von ihnen leben aufgrund ihrer Behinderung völlig isoliert. „Gehörlose wollen ihre Beziehung zu Gott und zu anderen Menschen leben“, sagt Pfarrer Schmidt, „als Seelsorger möchte ich die Menschen aus ihrer Isolation holen. Die Begegnung mit anderen Gehörlosen ist da der erste Schritt.“

 

Die Integration gehörloser Menschen in das Leben hörender Gemeinden ist schwierig. Meist aus Unwissenheit kommt es zu einem falschen Umgang. So werden gehörlose Menschen fälschlicherweise als „taubstumm“ bezeichnet. „Das klingt diskriminierend, weil gehörlose Menschen nicht stumm und eigentlich sehr kommunikativ sind“, sagt Detlef Schmidt, „die Integration gehörloser Menschen ist im Alltag auch deshalb schwierig, weil die Behinderung äußerlich nicht auffällt.

 

Hörende irritiert es manchmal, diese ungewöhnliche Stimme zu hören, wenn gehörlose Menschen sprechen oder plötzlich mit den Händen reden sehen.“ Oft werde auch in kirchlichen Kreisen erwartet, Gehörlose mögen sich bitte integrieren. „Doch wie soll das gehen, wenn Gehörlose etwa nur ein Drittel der Lautsprache vom Mund ablesen können? Der Rest muss erraten werden“, sagt Schmidt. Das führe im Alltag zu Problemen.

 

Oft sind Gehörlose in regionalen Gruppen organisiert. Eine der größten Gehörlosen-Gemeinden trifft sich im Dekanat Herborn. Hier ist seit 1990 Pfarrer Detlef Schmidt als Gehörlosenseelsorger in der EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) tätig. Für seine seelsorgerliche Arbeit hat er eigens die Gebärdensprache erlernen müssen. Es gibt es keine universelle Gebärdensprache. „In nahezu jedem Land hat sich eine eigene Gebärdensprache in Anlehnung an die jeweils umgebende Kultur entwickelt“, sagt Schmidt.

 

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) bietet flächendeckend ein Netzwerk von Gehörlosen-Seelsorgern an. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind besonders geschult und gestalten Gottesdienste in Gebärden-Sprache.

 

» Mehr zur Gehörlosen-Seelsorge

 

 


Haiger-Langenaubach 31.03.2011

Bilder als Botschafter des Glaubens

Evangelische Bildung bietet Chagall-Ausstellung zur Passions- und Osterzeit in Haiger-Langenaubach an... [mehr]

Region 30.03.2011

Die Idee wurde positiv aufgegriffen

Gemeinden beten für Gemeinden in den Dekanaten Dillenburg und Herborn. Die Idee ist aus der Zukunftswerkstatt erwachsen und sorgte nur vereinzelt für Verwunderung. Das freut die Dekane... [mehr]

Herborn 23.03.2011

Viel-saitiges Musikerlebnis in der Stadtkirche

Von Jörg Keller Mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart und Felix Mendelssohn Bartholdy gastierten mit dem Kalbhenn-Quartett vier ausgezeichnete Musiker in der Herborner Stadtkirche. Das Konzert fand im Rahmen der...[mehr]

Region 22.03.2011

Noch nicht absehbar, wie viel Hilfe benötigt wird

Evangelische Kirchengemeinden der Region laden ein zu Bittgottesdiensten. Es wird zu Spenden aufgerufen an die "Diakonie-Katastrophenhilfe"... [mehr]

Frank Leissler 16.03.2011

Das kann so nicht gut gehen!

Haben wir Menschen die Naturgewalten im Griff? Wir glauben an die Technik. Die Frage nach Gott wird erst dann gestellt, wenn es zu spät ist, stellt Frank Leissler betroffen fest... [mehr]

Siegbach/Mittenaar 16.03.2011

Männerabende mit Filmen von Clint Eastwood

Nur für Männer: In Offenbach wird ein Spätwerk von Clint Eastwood gezeigt. Im Anschluss wird sich über das Gesehene ausgetauscht...[mehr]

15.03.2011

Brückenbauer zwischen Gemeinden und Generationen

Die Evangelische Jugend im Dekanat und die Zukunftswerkstatt war Thema der Synode Dillenburg. Im Dekanat Dillenburg hat die Frühjahrssynode in Eibelshausen getagt... [mehr]

Dillenburg 14.03.2011

Martin Lücker spielt Albert-Schweitzer-Konzert

Zu einem ungewöhnlichen Orgelkonzert mit Martin Lücker lädt die Kirchengemeinde Dillenburg am Samstag, 19. März, 20 Uhr, ein. [mehr]

Dokumentation 13.03.2011

Zukunftswerkstatt ist Doppelpunkt

Über einhundert engagierte Menschen aus 35 Kirchengemeinden haben sich einen Tag lang sehr intensiv mit ihren Visionen und Träumen von Kirche und Gemeinde beschäftigt. Viele bereichernde Ideen und Gedanken sind in dieser...[mehr]

Synode Herborn 12.03.2011

„Wir verlieren uns nicht aus den Augen“

Die Synode im Dekanat Herborn verabschiedete Dekanin Puttkammer / Pröpstin Held dankte Präses Karl-Heinz Ruhs für sein langjähriges ehrenamtliches Engagement... [mehr]

» Noch Fragen...?

Sie suchen Informationen, haben Anregungen?
» per E-Mail hier
Telefon: 0 27 72 / 58 34-200

» Fotogalerien


» Kirchen an der Dill

 ----------------------------

» Alle Fotogalerien

 

Herausgeber: Evangelisches Dekanat an der Dill | Web-Redaktion und technische Realisation von www.ev-dill.de: Referat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit für das Evangelische Dekanat an der Dill | Diakon Holger J. Becker-von Wolff | Am Hintersand 15 | 35745 Herborn | Telefon 02772 58 34 220 | Mail: info(at)ev-dill.de | Fax: 02772 58 34 720 | » Mehr Informationen unter Impressum

Den Newsletter können Sie hier abbestellen.