Kirche im Umbruch
Studie prognostiziert eine Halbierung der Mitgliedszahlen bis 2060. Wie sieht das Ergebnis für die EKHN aus?
Die neue Studie „Kirche im Umbruch“ prognostiziert den Kirchen in Deutschland eine Halbierung der Mitgliedszahlen bis zum Jahr 2060. Sie malt aber nicht nur Schwarz, sondern zeigt auch Perspektiven auf. Wie sieht das für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau aus?
Die Vorgeschichte: Seit 40 Jahren Veränderungen klar im Blick
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) beschäftigt sich seit über 40 Jahren intensiv mit den Veränderungen in der Gesellschaft und ihren Auswirkungen auf das kirchliche Leben.
Zahlreiche Reformen wie etwa die Stärkung der so genannten Mittleren Ebene in über 30 Regionen sind aus dem Gedanken entstanden, näher an dem zu sein, was Menschen heute bewegt und was sie von der Kirche brauchen. Dazu gehören beispielsweise auch Öffentlichkeits-Aktionen wie die bundesweit einzigartige „Impulspost“. Dabei werden zwei Mal im Jahr alle Mitglieder mit aktuellen Themen aus evangelischer Perspektive per Brief und mit Aktionen vor Ort angesprochen.
Außerdem ist die EKHN die einzige evangelische Kirche in Deutschland, die regelmäßig einen eigenen Jugendkirchentag mit rund 4.000 Teilnehmenden anbietet, um auch für Jüngere ein außergewöhnliches Angebot parat zu haben. Schließlich gehört auch der erste evangelische „Youtube-Oscar“ zu den Maßnahmen, die die EKHN ins Leben rief. Junge Teilnehmende zeigen sich beim „YoungClip-Award“ als Nachwuchs-Filmemacher.
Die Analyse: Mehr Chancen bei Taufe und Jüngeren
Dennoch sieht sich auch Hessen-Nassau den Mega-Trends der Zeit ausgesetzt, wie die Zahlen aus dem jetzt vorgelegten Papier „Kirche im Umbruch“ zeigen. Die Langfrist-Projektion von Freiburger Forschern zur Zukunft der Kirchenmitgliedschaft sieht für die evangelische wie für die katholische Kirche eine Halbierung der Mitgliederzahlen bis zum Jahr 2060 voraus.
Das gilt auch für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau mit ihren aktuell rund 1,55 Millionen Mitgliedern. Die von der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Arbeit erblickt zugleich in den kommenden zwei Jahrzehnten klare Möglichkeiten zum Umsteuern. So bieten sich der Freiburger Studie zufolge bei der Taufe und bei den aktuell überproportional hohen Austrittszahlen der 20 bis 35 Jahre alten Mitglieder wichtige Ansatzpunkte für die Kirchen.
Die Reaktion: Kirchensynode beschäftigt sich mit Studie
Die Kirchensynode, das „Parlament“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, wird sich deshalb am Donnerstag und Freitag kommender Woche mit der Freiburger Studie intensiv beschäftigen. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung wird dazu unter anderem in seinem traditionellen Bericht vor den rund 150 Delegierten dazu Stellung nehmen. Er will am kommenden Donnerstag in Frankfurt auch erste Perspektiven für eine intensivere Kommunikation mit Mitgliedern und zu einer Stärkung der Gemeinschaft aufzeigen.
Die Strategie: Stärkere Kommunikation nach außen und innen
Nach Worten von Kirchenpräsident Volker Jung wird es künftig für die Glaubensgemeinschaften noch wichtiger, die „unersetzbare Kommunikation von Mensch zu Mensch mit der medialen und digitalen Kommunikation zu verbinden“. Das bedeutet für ihn auch, die Kommunikation innerhalb der Kirche zu intensivieren und sich darüber noch enger zu verständigen, „wie wir Kirche sein wollen“. Jung: „Der Rückzug in eine fromme Innerlichkeit oder ein gemeindliches Vereinsleben ist für mich keine Option."
Die Zahlen: Taufquote in Hessen-Nassau über dem Trend
Weitestgehend stimmen die bundesweiten Tendenzen der Langfrist-Projektion auch mit den Daten in der EKHN überein. Zunächst schneidet Hessen-Nassau etwas besser bei der Taufquote ab. Sie lag 2017 bei 83 Prozent der Kinder evangelischer Eltern (EKD: 80 Prozent). Insgesamt wurden von rund 14.000 Kindern evangelischer Eltern demnach in der EKHN knapp 12.000 getauft. Trotzdem klafft eine Lücke von 2000 Mädchen und Jungen, die durchaus getauft hätten werden können. Gleichzeitig verließen 2017 rund 15.000 Gläubige die Kirche; das ist eine Austrittsquote von einem Prozent aller Mitglieder (EKD: 0,9 Prozent). Besonders markant: Die Austrittwahrscheinlichkeit ist im Alter zwischen 20 und 35 Jahren im Vergleich zu anderen Lebensphasen enorm hoch. In dieser Phase treten aktuell über ein Viertel der Mitglieder aus der Kirche aus. Trotz aller Bemühungen trifft das auch aktuell für die EKHN zu.
Die Zukunft: Über 20 Prozent Veränderungspotenzial
Insgesamt hat die EKHN aktuell rund 1,55 Millionen Mitglieder, von denen 760.000 Kirchensteuer zahlen. Die Langfrist-Projektion der Freiburger Forscher zeigt bei einer unveränderten Fortschreibung der aktuellen Situation einen Rückgang auf 1,2 Millionen Mitglieder im Jahr 2035 auf; davon zahlen nur noch 548.000 Kirchensteuer.
Hochgerechnet auf das Jahr 2060 ergeben sich schließlich folgende Zahlen: 0,8 Millionen Mitglieder, von denen 345.000 Kirchensteuer zahlen. Die Freiburger Studie geht für die EKHN insgesamt davon aus, dass der Rückgang sich zu 21 Prozent aus der demographischen Entwicklung speist und er unabwendbar ist. Gleichzeitig ergibt sich aber ein Potential von 30 Prozent „anderer Faktoren“ – darunter das Tauf- und Austrittsverhalten - die sich durchaus beeinflussen lassen. So die Studie. Hier werden intensive Analysen und künftige Überlegungen in der EKHN noch stärker als bisher ansetzen.
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