Beim Backen beten
Alle Jahre wieder...ist Advent. Stress oder Besinnung? Pfarrer Michael Böckner über den Advent, Kommerz und Rituale ...
Für Kinder ist es oft die schönste Zeit im Jahr, Erwachsene empfinden sie häufig als stressig - die Wochen und Tage vor Weihnachten. Redakteurin Nina Paeschke hat mit Pfarrer Michael Böckner über den Advent und seine Bedeutung gesprochen.
Herr Böckner, ist die Adventszeit für einen Pfarrer besonders stressig?
Pfarrer Michael Böckner: Ja, die Adventszeit ist für einen Pfarrer teilweise besonders stressig. Viele ziehen allerdings Termine wegen der vielen Feierlichkeiten im Dezember in den November vor. Deswegen ist es schon im November stressig. Ein Kollege sagte über die Adventszeit: "Ich hetze von einer Besinnlichkeit zur nächsten." Das trifft es ganz gut. Die letzten Tage vor Weihnachten wird es bei mir etwas ruhiger. Das ist auch gut so. Dann kann ich in Ruhe die Gottesdienste für die Feiertage vorbereiten.
Viele Menschen empfinden die Vorweihnachtszeit durchaus als stressig. Geschenkekauf, Weihnachtsbäckerei, Betriebsfeiern und mehr - hat der Glaube heutzutage überhaupt noch einen Platz dazwischen?
Böckner: Natürlich hat der Glaube Platz zwischen den vielen Dingen, die die Vorweihnachtszeit kennzeichnen. Und zwar deshalb, weil der Glaube kein Lückenfüller, sondern ein Alltagsglaube ist. Ich kann auch beim Plätzchenbacken beten, und beim Geschenkekauf muss ich nicht ohne Gott sein.
Wie erleben Sie die Menschen in der Adventszeit? Sind die Gottesdienste jetzt schon besser besucht oder konzentriert sich das auf Weihnachten?
Böckner: Die Menschen in der Adventszeit erlebe ich teilweise übersättigt mit Terminen, Feierlichkeiten und mit Weihnachtsliedergedudel. Ich erlebe gleichzeitig die Sehnsucht nach Ruhepausen. Ich glaube aber auch, dass viel selbst gemachter Stress dabei ist. Ich nehme aber auch öfter Einsamkeit wahr. Und für die Patchwork-Familien gibt es viele Herausforderungen, bei wem an welchem Feiertag ein Besuch geht. Gottesdienste in der Adventszeit sind dann besser besucht, wenn es besondere Anlässe gibt: Familiengottesdienst, Chorauftritte und Ähnliches. Sonst ist es nur geringfügig anders als sonst. An Heiligabend ist natürlich "Jahreshauptversammlung", wie ein Freund von mir gerne sagt. Ich freue mich übrigens auch auf die Menschen, die nur einmal im Jahr an Heiligabend in die Kirche kommen!
Hat der Glaube in der Adventszeit früher eine größere Rolle gespielt?
Böckner: Ich glaube, das die Adventszeit früher bewusster begangen worden ist. Heute gibt es eher die Ebene von Adventskalendern. Adventskränze gibt es zwar auch, aber es ist doch alles kommerzialisierter. Früher war die Zeit ritualisierter, das heißt, es gab feste Zeiten für bestimmte Dinge: Wann Plätzchen gebacken werden oder wann die Barbarazweige in die Vase gestellt wurden. Heute geht es eher darum, welche Lebkuchensorte am besten schmeckt. Früher war die Adventszeit auf Dezember beschränkt. Heute gibt es schon ab September das Weihnachtsgebäck in den Supermärkten. Damit verliert die Zeit das Besondere. Ähnliches gilt für die Adventsbeleuchtungen. Früher gab es die auf keinen Fall vor dem Ewigkeitssonntag. Auch das ist heute vielerorts aufgeweicht.
Ursprünglich war die Vorweihnachtszeit ja auch einmal als Fastenzeit gedacht, oder?
Böckner: Ja, ganz genau. Und die fing am 11. November in manchen Regionen an. In der katholischen Kirche ist die Fastenzeit noch deutlich präsenter. In der evangelischen Kirche ist das an der Farbe der Altar- und Kanzelbehänge, den Paramenten, sichtbar. Sie sind violett. Das ist die Farbe der Buße und des Fastens - der Umkehr. Das ist die gleiche Farbe wie in der Passionszeit. Praktisch spielt das im Leben der Christen heute weniger eine Rolle als früher. Auch hier sind Traditionen verloren gegangen, die manche als hilfreich erlebt haben, manche aber auch als überflüssig.
Kann man Fasten heute überhaupt mit dem Überangebot an Stollen, Lebkuchen, Glühwein und anderen Leckereien in Einklang bringen?
Böckner: Ja, weil Fasten mehr bedeutet, als auf Lebensmittel zu verzichten. Beim Fasten geht es darum, bewusst auf etwas zu verzichten, um Zeit und Konzentration für die Begegnung mit Gott zu haben. Es geht nicht ums Abnehmen, sondern um eine geistliche Haltung: dass mir die Begegnung mit Gott mehr wert ist als alles andere. So wird ja auch in der Passionszeit bei ,Sieben Wochen ohne' ganz bewusst auf andere Dinge verzichtet, zum Beispiel Fernseher oder Computer. Fasten kann durchaus ein Gewinn sein, weil es sich nicht auf Lebensmittel begrenzen muss.
Was sind für Sie die schönsten Momente in der Adventszeit?
Böckner: Privat ist das für mich, wenn wir sonntags in der Familie die Kerzen am Adventskranz anzünden und einfach Zeit miteinander verbringen. Für mich gehören auch bewusste Zeiten der Stille dazu, um Gott zu begegnen. Aber diese Zeiten muss ich ganz bewusst planen und nehmen, sonst geschieht es, dass sie von etwas anderem überdeckt werden. Zu den schönsten Momenten gehören auch Lieder - allerdings nicht im Kaufhaus, sondern zuhause oder in der Gemeinschaft mit anderen.
Haben Sie einen Tipp zur Entschleunigung in der Vorweihnachtszeit?
Böckner: Mein Tipp ist, Geschenke möglichst vor Dezember zu kaufen. Das entschleunigt. Man sollte auch bewusst entscheiden, zu welcher Weihnachtsfeier man geht. Vielleicht kann man auch ’mal eine absagen und einen Abend der Stille genießen - ohne Medienkonsum. Oder sich einfach ’mal in die heiße Badewanne legen.
Welches Adventslied mögen Sie persönlich am meisten?
Böckner: "Wie soll dich empfangen" mag ich total gerne, weil es mich ein Stück weit einlädt, dass ich mich wirklich öffne für die Begegnung mit Gott. Ganz klasse finde ich auch das Weihnachtslied "Ich steh an deiner Krippen hier". Da heißt es in der Strophe neun: "So lass mich doch dein Kripplein sein ..." Das bedeutet: "Mein Herz soll der Ort sein, wo du hineingelegt wirst."
Und wie sieht es mit "Last Christmas" von "Wham!" aus ...?
Böckner: Das nervt. Andere Lieder wie zum Beispiel "Power of Love" von "Frankie goes to Hollywood" mag ich wirklich gerne.
Nach dem Matthäusevangelium mussten Maria, Josef und Jesus kurz nach der Geburt des Kindes nach Ägypten fliehen, da König Herodes alle neugeborenen Kinder in Bethlehem töten ließ. Welche Parallelen ziehen Sie zur Flüchtlingssituation heute?
Böckner: Die erste Parallele ist: Gott ist ein Gott, der weiß, wie es ist, wenn man die Heimat verlassen muss. Er weiß es aus eigener Erfahrung. Niemand versteht Flüchtlinge so gut wie er. Ein weiterer Aspekt ist: Auch er brauchte Leute, die ihn aufnehmen. So sind wir heute gefragt: Für Menschen auf der Flucht mit traumatischen Erfahrungen, die Jesus auch gemacht hat - Stichwort: Kindermord von Bethlehem - braucht es offene Türen und offene Herzen. Damals wie heute ist es nicht einfach, Menschen auf der Flucht unterstützend beizustehen. Das kann auch nicht blauäugig geschehen, sondern muss mit Verstand und mit Gottvertrauen erfolgen. Damit Gott hilft, dass es zu guten Ergebnissen kommt. Auch Helfer müssen in der heutigen Zeit auf sich achten, sich nicht zu überfordern.
» Zur Person
Pfarrer Michael Böckner ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Seit mehr als sechzehn Jahren wirkt er als Seelsorger in der evangelischen Kirchengemeinde Allendorf/Haigerseelbach.
» Link zur Gemeindeseite
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