Schockdiagnose Demenz
Es ist eine Schockdiagnose - nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen. Ein Seminar zeigt, dass das Thema den Nerv trifft...
Von Jenny Berns
Mit einem Seminar haben die Dekanate Dillenburg und Herborn Betroffenen Mut machen wollen. Dass das Thema den Nerv trifft, zeigt die Tatsache, dass es schnell ausgebucht war. Da die Resonanz so groß war, hat Pfarrerin Marloth-Claaß bereits zugesagt, dass es weitere Themenangebote zum Thema "Umgang mit dementiell erkrankten Menschen" geben wird. Die Pfarrerin bittet Interessierte deshalb um eine Rückmeldung unter Telefon 02772 / 6494486 oder per E-Mail unter bettina.marloth-claass.dek.dillenburg(at)ekhn-net.de .
Als Referent war Henrik Weinrebe, Psychologe und Fachmann der Gedächtnisambulanz im Vitos-Klinikum Herborn, zu Gast. Die Demenz ist für ihn ein Tod auf Raten. Anderthalb Millionen Menschen leiden an der Krankheit, und Experten sind sich sicher: In den kommenden Jahren wird diese Zahl steigen. "Es ist ein Problem, das auf uns zukommt und das wir alle ausblenden", sagt Diplom-Psychologe Henrik Weinrebe. Zwar seien die Fachärzte, die sich mit der Krankheit beschäftigen, inzwischen qualifizierter und auch die ärztliche wie pflege-technische Situation habe sich in den vergangenen Jahren verbessert, doch noch immer würden nur zehn Prozent der an Demenz erkrankten Menschen adäquat behandelt. Dies läge daran, dass der Umgang mit der Erkrankung nicht offen genug ist, sagt der Demenz-Fachmann, der die Gedächtnisambulanz in der Herborner Vitos-Klinik betreut.
Doch was passiert eigentlich, wenn ein Mensch an Demenz leidet? Wichtig zu wissen ist, so Weinrebe, dass es "die Demenz" nicht gibt. Vielmehr gebe es unterschiedliche dementielle Erkrankungen. Alzheimer ist von den verschiedenen Arten sicherlich die bekannteste. Eine sehr genaue Diagnose sei daher besonders wichtig, sagt der Psychologe. Auch Erkrankungen wie Altersdepression oder Tumore, die das Gedächtnis beeinträchtigen können, müssten zunächst ausgeschlossen werden.
Es sei wie ein Rekorder: Erst ist Aufnahme fehlerhaft, später die Wiedergabe ebenfalls defekt.
Demenz, das macht Weinrebe noch einmal deutlich, ist nicht verharmlosend mit Vergesslichkeit gleich zusetzen, sondern es handelt sich um den fortschreitenden Verlust kognitiver Fähigkeiten. Die verschiedenen Formen der Erkrankung sind laut Weinrebe darauf zurückzuführen, "dass es das Gedächtnis, so wie wir es uns vorstellen, gar nicht gibt". "Über den Hippocampus werden bestimmte Informationen in unterschiedlichen Bereichen der Hirnrinde organisiert, zum Beispiel im Sprachzentrum."
Bei einer Demenzerkrankung kommt es, erklärt der Psychologe, dann nach und nach zu Ausfällen, die nicht mehr mit dem normalen Alterungsprozess übereinstimmen. "Es gibt einen holländischen Arzt, der hat die Erkrankung mit einem Videorekorder verglichen, bei dem zunächst die Aufnahmefunktion immer häufiger fehlerhaft ist und im zweiten Schritt dann auch die Wiedergabefunktion nicht mehr funktioniert." Je nach Art der dementiellen Erkrankung verlieren Betroffene die Orientierung, können nicht mehr sprechen und verändern ihre Persönlichkeit. Auch die eigene Biografie verblasst nach und nach.
Heilbar ist Demenz bis heute nicht. Überhaupt kann der Fachmann hinsichtlich der Krankheit wenig Hoffnung machen: Wer sich schützen wolle, könne natürlich einen gesunden Lebensstil pflegen, nur auf der sicheren Seite sei man damit nicht. "Demenz ist eine Krankheit, die eine frühzeitige Alterung zur Folge hat", sagt Weinrebe. Daher ließe sich der Ausbruch einer Demenz höchstens verzögern, aber nicht vermeiden. Auch die verfügbaren Medikamente könnten das Fortschreiten der Krankheit nur um maximal ein Jahr bremsen. Weinrebe: "Ich verstehe nicht, warum in Deutschland so viel in die pharmazeutischen Lösungen gesteckt wird. Ich bin dafür, dass mehr Geld für Pflege und Betreuung ausgegeben wird, als das derzeit der Fall ist."
Aber auch viele Angehörige machten es sich unnötig schwer, indem sie meinten, die komplette Pflege alleine stemmen zu müssen, ist Weinrebe sicher. Daher sollten sich Patienten wie Angehörige möglichst frühzeitig nach der Diagnose über Betreuungsangebote, Ambulanzen und auch begleitende Therapien kümmern. "Wenn die Betroffenen desorientiert sind oder sich falsch erinnern, wenn sie Ängste empfinden, dann wird das von der Umgebung oft heruntergespielt", sagt Bettina Marloth-Claaß, Pfarrerin für Alten-, Kranken- und Hospizseelsorge, und zitiert einen Buchtitel: "Das Herz wird nicht dement", der Kopf mag nicht funktionieren, wohl aber die Gefühlswelt. Die Pfarrerin hat auch das ausgebuchte Seminar geplant. Sie hat bereits zugesagt, dass es weitere Themenangebote zum Thema "Umgang mit dementiell erkrankten Menschen" geben wird.
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