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03.02.2015

Narrenfreiheit für alle?

Wie weit darf die Meinungsfreiheit zu Karneval gehen? Fragen an den Kabarettisten und Pfarrer Hans-Joachim Greifenstein ...

 

 

Interview von Thilo Ohrndorf | www.ekhn.de

 

 

An Fastnacht ist die Bühne frei für Büttenreden, witzig und ironisch werden bizarre gesellschaftliche Verhältnisse beleuchtet. Narrenfreiheit das ganze Jahr über genießt Pfarrer Hans-Joachim Greifenstein vom Babenhäuser Pfarrerkabarett.

 

Welche Konsequenzen hat es, wenn er seine Meinung sagt, ohne ein Blatt vor den Mund zunehmen? Gehören dazu auch Witze über andere Religionen? Zusammen mit Clajo Herrmann steht er als „Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer (!)-Kabarett“ auf der Bühne. Fast 1200-mal haben die beiden Pfarrer ihr Publikum schon begeistert. Gerade als Pfarrer stellt der 57-jährige immer wieder fest, dass man sich einfach mal „uffresche“ muss. Dass Hans Greifenstein das Leben mit Humor nimmt, beweist er seit 18 Jahren bei jedem Auftritt. Und wenn es um Meinungsfreiheit, religiöse Gefühle und die christliche Botschaft geht, zeigt der eingefleischte Hesse klare Kante.

 

Mit welcher Motivation macht ihr Kabarett?

 

Greifenstein: Spaß haben. Wir wollen selbst unseren Spaß haben. Als wir angefangen haben, waren wir Pfarrer in einer Gemeinde. Du hast da immer genug, über das du dich aufregen kannst. Und wir wollten die alltäglichen Konflikte und Situationen aus der Gemeinde humoristisch auf die Bühne bringen, dass man lachen kann über das, was passiert. Die Leute haben sich zum Beispiel aufgeregt: „Die Kirche geht zu spät los, ich komm nicht rechtzeitig zum Mittagessen!“ Darüber haben wir Witze gemacht. Und die Botschaft war: Macht euch locker! Du stehst unter anderem dafür, dass du Dinge aufs Korn nimmst und witzig bist.

 

Wie feierst du Fastnacht?

 

Greifenstein: Ich hau‘ ab über Fastnacht. In der Zeit ist in der Gemeinde wenig los. Da mache ich Urlaub mit meiner Frau. Allerdings komme ich aus der Fastnachtshochburg Seligenstadt. Da wurde ich als Kind schon von diesen Fastnachtsgenen infiziert. Als Kind und als Jugendlicher habe ich total ausgiebig Fastnacht gefeiert. Das Lebensgefühl ist bei mir nicht mehr dran und ich nutze die Zeit, mich zu erholen. Es gibt in der Evangelischen Kirche auch fastnachtskritische Strömungen, aber die Fastnacht hat auch christliche Ursprünge.

 

Wovon könnte sich die Evangelische Kirche inspirieren lassen?

 

Greifenstein: Erstmal ist Fastnacht etwas Antihierarchisches, hat ein anarchistisches Element und ist gegen Herrschaft gerichtet. Die ganze Tradition mit den Lumpengarden, dass man sich verkleidet, war ja eine kritische Verspottung des Militärs. Die Mainzer Fastnacht zum Beispiel war zum Teil auch antinapoleonisch. Was an der Fastnacht gut ist – bis heute – ist die Narrenfreiheit. Die normalen Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt, man nimmt sich eine Auszeit vom normalen Leben und flippt kollektiv aus. Dass man sich den Zwängen verweigert und sagt: „Heute sind wir mal verrückt“, da steckt auch viel von der christlichen Botschaft drin. Auch in der Kirche ist es immer gut, sich ab und zu dem zu widersetzen, was als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden wird und zu fragen: Müssen Strukturen eigentlich so sein, wie sie sind? Und mal fünfe grade sein lassen, mal über die Stränge schlagen. Es ist ein belebendes Element für eine Organisation, wenn man nicht immer nur ernst ist. Der Ernst des Lebens ist ein Arschloch und dem muss man ab und zu mal in den Hintern treten.

 

Hast du konkrete Beispiele, was du in der Kirche ändern willst?

 

Greifenstein: In der Kirche? Langeweile. Langeweile und lebensferne Rituale. Wenn die Pfarrer an den Leuten vorbei predigen. Wenn wir den Leuten irgendwas erzählen, das theologisch richtig und philosophisch super ist, und die Leute damit nichts anfangen können, weil es ihre Lebenswelt nicht berührt. Da müssen wir was gegen machen. Aber einen Bischofsprass wie in der katholischen Kirche haben wir ja nicht. Wir haben eine liberale Kirche. Deswegen ist bei uns nicht so viel Dampf im Kessel und wir haben es nicht so nötig, das Ventil aufzumachen. Bei den Katholiken ist ja schon witzig, wenn der Pfarrer sich als seine Haushälterin verkleidet. Da lachen die Leute, weil da ein Rollentausch stattfindet.

 

In den Zeiten nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo fällt ein besonderer Blick auf die Leute, die auf humorvolle Weise versuchen andere Menschen sowie religiöse und gesellschaftliche Zustände kritisch zu beleuchten. Wie trifft das dich als Kabarettisten?

 

Greifenstein: Wir haben ganz klar immer das Bodenpersonal im Blick. Also wir machen Witze über die Zustände in der Organisation Kirche. Unser Interesse ist es nicht, religiöse Gefühle zu verletzen. Wir haben auch kein Interesse daran, Leuten weh zu tun. Das ist nicht unser Ding. Natürlich gibt es Leute, die sind dermaßen empfindlich, denen muss man wehtun. Sie haben Pech gehabt. Bei Charlie Hebdo geht es um ein interkulturelles Problem. Französische Atheisten glauben, muslimische Menschen in einer Weise behandeln zu müssen, wie es für sie vollkommen inakzeptabel ist. Da prallen zwei Kulturen aufeinander. Wir machen keine Witze über den Islam, weil wir glauben, dass wir uns noch zu fremd sind. Wir machen Witze über Katholiken. Das ist kein Problem, weil die Katholiken wissen, dass wir sie mögen. Wir sind eine Familie – Ökumene. Vor 30 Jahren wäre das auch schwierig gewesen. Und jetzt ist es so, dass viele Muslime glauben, wir machen uns über sie lustig. Wir machen uns natürlich lustig über alte Männer, die Blödsinn predigen, aber wir respektieren die Glaubenswelt eines muslimischen Menschen. Für die Muslime sind wir fremd und für sie sind wir, die christliche Kultur, die Herrschaftskultur in Europa. Deswegen sind Muslime gekränkt und verletzt, wenn wir uns über sie lustig machen. Das wollen und machen wir nicht. Wir haben aber einen guten Freund, der ist Muslim und auch Kabarettist, der macht Witze über den Islam, sehr gute sogar. Aber er macht nur wenige Witze über Christen. Es wäre mal reizvoll und interessant ein interreligiöses Kabarett zu machen, in dem jeder auf seinen eigenen Laden draufhaut.

 

Wie stehst du dazu, dass das Festkomitee des Kölner Karneval den Motivwagen gestoppt hat, der an das Attentat auf Charlie Hebdo erinnern sollte?

 

Greifenstein: Wegen der Massenveranstaltung mit Millionen von Leuten haben die Verantwortlichen einfach Angst gehabt. Da ist eine aufgeheizte Atmosphäre und Kinder und Familien gehen dahin. Ich würde auch nicht alles auf den Wagen bringen, aber ich habe den Wagen gesehen und fand den Entwurf sehr gut. Ich hätte es gemacht. Die haben ja nicht den Islam angegriffen. Die haben sich gegen den Terrorismus gewehrt und das ist ok. Die Wiesbadener haben ein bisschen mehr Mumm und machen einen Wagen, der sich damit auseinandersetzt.

 

Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?

 

Greifenstein: Ja, die ist immer in Gefahr, weil es Leute gibt, die sich anpassen, und Leute, die feige sind. Es gibt auch Leute, die versuchen ein Meinungsklima zu erzeugen, in dem sie selbst sich durchsetzen können. Das Stichwort ist Hassprediger. Wobei es diese Leute auch im politischen und kirchlichen Bereich gibt. Klar, es gibt Leute, die versuchen, ihre Meinung durchzusetzen, und da musst du dich wehren. Um die Meinungsfreiheit muss man immer kämpfen, aber akut habe ich kein Gefühl der Bedrohung.

 

Ist die Feigheit der Leute berechtigt?

 

Greifenstein: Nein. Sie wird aber erst dann zum Problem, wenn alle feige sind.

 

Standet ihr schon mal in der Kritik, weil ihr die Gefühle oder die Haltung eines Zuschauers verletzt habt?

 

Greifenstein: Man bekommt ab und zu mal einen Brief von jemandem, der sich geärgert hat oder bekommt auch mal eine Kritik in der Zeitung. Aber eher selten. Die meisten Leute können damit gut leben – also die Leute, die uns sehen. Aber man hört natürlich nicht alles. Ich habe neulich von einer Frau, die Esoterikerin ist, einen Brief bekommen. Die war bitterböse, weil ich mich über Esoterik lustig gemacht habe. Da war ihre Humorgrenze verletzt.

 

Du hattest eben gesagt, dass ihr nur Witze übers Bodenpersonal macht. Welche Grenzen gibt es bei der Narrenfreiheit und der kabarettistischen Freiheit?

 

Greifenstein: Es gibt grundsätzlich erstmal keine Grenze. Humor, Kabarett und Satire darf eigentlich alles, aber der Satiriker muss auch wissen, dass er nicht mit jedem Witz alle Menschen glücklich macht. Man kennt es ja selbst. Du kommst irgendwohin und erzählst Witze, die einen reagieren total gut darauf und die anderen finden es überhaupt nicht witzig. Erzählen darfst du alles, aber du darfst nicht erwarten, dass alle gut finden, was du sagst. Das ist die andere Seite.

 

Eine letzte Frage: Wenn du doch nochmal Fastnacht feiern wolltest, als was würdest du dich verkleiden?

 

Greifenstein: Als der neue griechische Finanzminister, der gefällt mir gut.

 

 

 

Kirchliche Stimmen als Reaktion zum Attentat auf Charlie Hebdo

 

 

 

» Pröpstin Annegret Puttkammer will dem Terror nicht das Feld überlassen. Sie hat bereits Mitte Januar dazu aufgerufen für das Miteinander der Religionen einzutreten: "Mir liegt sehr daran, dass wir hier in Deutschland für gute Beziehungen zu unseren muslimischen Nachbarn einstehen. Die Unmenschlichkeit der Terroristen darf uns nicht dazu verleiten, dass die menschliche Gemeinschaft in unseren Orten vergiftet wird! Ich bestärke diejenigen, die sich für ein konstruktives Miteinander der Religionen einsetzen, und unterstütze alle, die sich mit großer Freundlichkeit und Empathie um diejenigen kümmern, die auf der Flucht sind und nun bei uns Zuflucht suchen."

 

» Der Herborner Dekan Andreas Friedrich bedauert, dass es wieder nötig wird zu erklären, dass Gewalt und Terror keine legitimem Mittel der Auseinandersetzung in der Gesellschaft sind: "Die Freiheit der Meinung ein hohes Gut, das es zu schützen gilt - auch wenn mir persönlich natürlich nicht alles gefällt, was Menschen vertreten. Aber es ist scheinbar nötig dies zu sagen – immer wieder! An vielen Stellen gelingt es schon, dass Menschen sich begegnen, unterstützen und achten, auch über Sprach-, Kultur- und Religionsgrenzen hinweg. Das freut mich!

Es ist bitter, dass Anschläge wie der in Paris dieses „Pflänzchen“ immer wieder ausreißen und Zwietracht säen wollen. Mir liegt daran, dass wir keine falschen Alternativen aufmachen, sondern gemeinsam Wege des Friedens finden und einüben!"

 

 

 


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