Wo Glauben verloren geht, sind Werte in Gefahr
"Werte sind kein Luxus!" - dies war die zentrale Aussage eines Impulsreferates von Dr. Wolfgang Gern beim Neujahrsempfang der Dekanate sowie des Diakonischen Werkes Dillenburg-Herborn...
Im Theologischen Seminar der EKHN, dem Schloss Herborn, hatte am vergangenen Freitag der Dillenburger Dekan Roland Jaeckle rund 100 Gäste verschiedener kirchlicher Organisationen sowie Vertreter des öffentlichen Lebens begrüßen dürfen.
Im Rahmen des Neujahrsempfanges, zu dem die beiden Dekanate und das Diakonische Werk zu Beginn des neuen Kirchenjahres gemeinsam eingeladen hatten, betonte Jaeckle, dass man diesen Abend nutzen und das Gespräch mit vielen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen suchen wolle. Der Dialog sei notwendig, da sich gerade in letzter Zeit immer mehr Menschen an die Kirchen wendeten, um Antworten auf drängende Fragen der Gegenwart zu bekommen.
Zudem müssten die Kirchen selbst die Frage stellen, welche Kernanliegen ihnen künftig wichtig sind und ob die aktuellen Krisen in der Welt ihre Positionen in Frage stellten. Dabei gehe es um Themen wie die Präimplantationsdiagnostik, den Rechtsradikalismus, das Auseinanderklaffen der so genannten gesellschaftlichen Schere oder das Altern in Würde.
Und weil Dr. Wolfgang Gern nicht nur Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, sondern auch Sprecher der nationalen Armutskonferenz sei, erwarteten die Gastgeber und Gäste von ihm Antworten. "Wo Glauben verloren geht, sind auch Werte in Gefahr", warnte Gern zu Beginn seiner Rede. Die Vermittlung und Akzeptanz von Werten sei vor allem eine Frage der persönlichen Haltung, betonte er. Dabei sprach er auch die Mitarbeiter der kirchlichen Institutionen an, die sich immer wieder fragen müssten, ob sie ihre Arbeit "nur als Job" betrachteten oder echtes Interesse an hier hätten.
Er sei überzeugt, dass es auf der ganzen Welt kein größeres Thema gebe als die Liebe. "Ohne sie ist alles nichts!" Noch abendfüllender würde eine Diskussion allerdings, wenn man über das Gegenteil reden würde: Zunehmende häusliche Gewalt in Europa, hohe Selbstmordrate in Japan. Er mahnte, die Werte anderer zu akzeptieren. "Wir dürfen nicht Andersdenkende abwerten", betonte Gern mit Blick auf die Debatten über Kopftücher oder Homosexualität. Und: "Man kann nur aus Liebe Glauben haben!" Dieser Satz sei die erste These seines Referates. Dieser schlossen sich vier weitere Kernaussagen an, die Gern ausführlich und mit eigenen Erfahrungen gespickt beleuchtete. Dabei betonte er auch, dass sich "unserer Freiheit als die Freiheit anderer bewähren muss." Mit Blick auf die Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt verwies der Redner auf die eigene, protestantische, Vergangenheit: "Die Reformation war der Urknall gegen Unfreiheit und Unrecht!"
Gerade in Krisenzeiten brauchten die Christen die Fähigkeit zur Mitleidenschaft mit den Menschen. Kirche dürfe nicht selbstgenügsam werden, mahnte Dr. Wolfgang Gern. Zudem bedürfe es eines Perspektivwechsel beim Blick auf die Rolle Jesu' in der Gesellschaft. "Wir müssen erkennen, dass Menschenwürde und sozialer Ausgleich zusammengehören." Ohne mitmenschliche Solidarität "knallt unsere Gesellschaft auseinander!" Zwar könne der Staat kann nicht alles leisten, dennoch sei es dessen "vornehmste Aufgabe", für den sozialen Ausgleich zu sorgen – vom Mindestlohn über gerechte Hartz-IV-Sätze bis zur häuslichen Pflege und deren Finanzierung. Denn: „Die Stärke der Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen“.
Dr. Wolfgang Gern fand auch klare Worte zum Rechtsextremismus. "Wir als Evangelische Kirche widersprechen allen, die einen Keil hineintreiben in die Humanität unserer Gesellschaft!" Jahrelang habe man den Rechtsextremismus verharmlost und unterschätzt. "Ohne Wenn und Aber widersprechen wir ihm und sagen Ja zur Vielfalt unserer Gesellschaft." Und abschließend: "Wir zeigen allem Herrenmenschentum die rote Karte!“
Uli Geis, Herborner Tageblatt
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