„Mehr raus!“
Gedanken zu Beginn eines arbeitsreichen Jahres von Pröpstin Annegret Puttkammer. Sie ermutigt zu mehr Spaziergängen...
Von Angela Merkel ist bekannt, dass sie sich zu Beginn eines Jahres regelmäßig vornimmt, „mehr an die frische Luft zu kommen.“ Das verstehe ich gut und wünsche es mir und allen engagierten Menschen in unserer Kirche auch. Nicht nur, weil es dem Körper hilft, die für unser Seelenleben wichtigen Vitamin D-Reserven aufzufüllen.
Ein belebender Spaziergang durch die herrliche Landschaft Nord-Nassaus macht uns darüber hinaus sensibel für die Schönheit der Schöpfung und die Kostbarkeit der uns von Gott geschenkten Zeit. Und – das ist mir in den letzten Wochen neu deutlich geworden: Ein Ausflug an die frische Luft macht uns sichtbar.
Wie wichtig gerade diese Sichtbarkeit von uns Christenmenschen für die Weitergabe des Evangeliums ist, zeigen die ersten Auswertungen der jüngsten EKD-Erhebung über die Kirchenmitgliedschaft. Denn obgleich die Ergebnisse im Einzelnen noch genauer zu analysieren sind, so viel ist schon jetzt deutlich: Für die meisten Menschen landauf landab sind Personen, die Religion „verkörpern“ und denen sie im Alltag begegnen, ein entscheidender Andockpunkt. Sollte uns eigentlich nicht wundern.
Immerhin glauben wir ja an einen Christus, der zwar auch in den Synagogen gepredigt hat, vor allem aber unterwegs – beim Wandern durch die Hügel und Ebenen Galiläas.
Dass diese Begegnungen an der frischen Luft nach wie vor „evangeliumsträchtig“ sind, kam mir in den Sinn, als ich bei einer Visitation von einer Kirchengemeinde hörte, die in den Wintermonaten für etliche Menschen im Ort den Schnee beseitigt. Sie besitzt einen Aufsitzrasenmäher mit Schneeschiebevorsatz, der es leicht macht, auch größere Flächen von der weißen Pracht zu befreien.
„Warum nur vor dem eigenen Gemeindehaus kehren?“ dachte sich der Kirchen-vorstand und schritt zur Tat. Ein im besten Sinne diakonisches Handeln, das zu vielen Begegnungen draußen auf der Straße führt. Bitte mehr davon! Das möchte ich für mich auch lernen, wie Ausflüge und Arbeit an der frischen Luft spielerisch selbstverständlich zu kleinen Andockpunkten für das Evangelium werden können.
Indem ich so ins Schwärmen gerate, merke ich allerdings sofort, was mich auf den Boden der harten Tatsachen zurückholen will. Ein Blick in den Terminkalender und auf die damit verbundenen Verpflichtungen reicht. Und ich weiß, vielen Kollegen und Kolleginnen im Pfarramt sowie den ehrenamtlich engagierten Gemeindegliedern geht es nicht anders.
So stellt uns 2015 zum Beispiel in Hessen das neue Kinderförderungsgesetz vor erhebliche zusätzliche Herausforderungen. Denn für unsere KiTas und die Kirchenvorstände ist es mit einem ungeheuren zusätzlichen Verwaltungsaufwand verbunden, und die angestrebte Kinderförderung bedeutet eine hohe Zusatz-belastung der ohnehin schon an der Grenze arbeitenden kirchlichen Gremien und Mitarbeitenden.
War's das also schon mit dem schönen Vorsatz, 2015 öfter mal an die frische Luft zu kommen? Wenn wir solche Ausflüge für den Zeitpunkt ins Auge fassen, an dem alles Andere bereits erledigt und geschafft ist, dann mit Sicherheit. Denn den wird es nicht geben! Doch den gab es auch 2014 schon nicht.
Ich schlage deshalb eine Alternative vor: Geben wir dem Vorsatz doch schlichtweg den Vorrang. Ganz konkret, indem wir bestimmte Tage von vornherein als „Zeit fürs Wesentliche“ deklarieren. Und das aus gutem Grund. Raus zu kommen ist wichtig, weil nur diese Oasen uns die Kraft, Lebendigkeit, Inspiration und auch die Begegnungen schenken, um das Dringliche zu bewältigen.
Ich will mir meinen Kalender entsprechend präparieren. Nicht zuletzt wäre eine solche Umorganisation auch ein geistlicher Schritt. Denn im Evangelium begegnet mir kein Jesus, von dem es heißt: „Nachdem er aber sämtliche Kranken besucht, alle Hungernden satt gemacht und auch alle verwaltungstechnischen Fragen seiner Jünger beantwortet hatte, nahm er einen Ortswechsel vor, um zu beten.“ Stattdessen ist davon die Rede, dass Jesus vor allem Anderen rausgeht, um zu sich selbst, zu Gott und den Menschen zu finden.
Ich wünsche mir für 2015, dass man uns als Menschen in der Kirche die Rechtfertigung aus Gnade auch am Terminkalender abspürt – trotz allen Drucks, der strukturell und organisatorisch auf uns lasten wird. Ein gnadenloser Terminkalender widerspricht nicht nur unserem Auftrag, er beraubt uns auch unserer Fröhlichkeit und Gesundheit und damit langfristig jeder Effizienz und Zufriedenheit.
Wenn der gute Vorsatz Vorrang bekommt, hat er eine echte Chance, nicht auf der Strecke zu bleiben, sagen die Neuropsychologen. Das möchte ich ernst nehmen. Ob wir uns also 2015 mehr an der frischen Luft sehen?
Ich freu' mich drauf,
Ihre Annegret Puttkammer
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