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16.02.2017

Kirche in der Kneipe?

In Herborn haben Kirchenvertreter über neue Gemeindeformen diskutiert. Dekan Roland Jaeckle hat zu mehr Mut und Leidenschaft aufgerufen, den Weg zu den Menschen zu suchen.

 

 

Wie reagiert Kirche auf die deutlich spürbaren Traditionsabbrüche in der Gesellschaft und wie auf die unterschiedlichen Milieus? Der „3. Runde Tisch“ des Netzwerkes „Fresh X in Hessen“ hat in Herborn mit Vertretern der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau (EKHN) sowie von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und erstmals aus Wetzlar-Braunfels und somit aus der Rheinischen Kirche (EKiR) gemeinsam über neue Wege in der Gemeindearbeit diskutiert.

 

Kirchenrat Dr. Thomas Schlegel aus Erfurt stellte ein Modell der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland vor und Dekan Roland Jaeckle beleuchtete im Anschluss an das Referat den kirchlichen Spielraum auf der Mittleren Ebene in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Zudem wurde ein Weiterbildungs-Angebot vorgestellt, das die Hochschule des CVJM in Kassel und das kirchliche Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) in Greifswald gerade ausgearbeitet haben.

 

Zu diesem Netzwerk-Treffen „Fresh X in Hessen“ kamen etliche Pfarrer, Gemeindepädagogen, Jugendmitarbeiter, Prädikanten und Gemeindeglieder aus ganz Hessen, die sich für neue Gemeindeformen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus interessieren oder sich schon in diesem Bereich engagieren.

 

Kirche neu zu den Menschen unterwegs

 

Im Fokus standen diesmal Erfahrungen, die die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland derzeit mit ihren neuen Erprobungsräumen macht. Projektleiter und Kirchenrat Thomas Schlegel aus Erfurt stellte das Modell der EKM vor: Aus insgesamt 34 Anträgen hat die Evangelische Kirche 13 Erprobungsräume ausgewählt, fünf davon werden nun begleitet und ausgewertet.

 

Ob die mobile Jugendkirche im Südharz oder die Stadtteilarbeit „Clara Zetkin“ in Gotha, die Pfadfinder „Bördefüchse“ in der Industriestadtgemeinde Haldensleben, die Evangelische Schulgemeinde Hettstett oder der Gemeindekurator in Bad Frankenhausen-Sondershausen – die bis 2022 befristeten Projekte können wichtige Erkenntnisse für andere Regionen in Deutschland liefern. Wie kann hier die Kirche in Zukunft aussehen? Neben Gemeindeaufbau-Projekten in den ländlichen Regionen Thüringens sind auch Projekte in den städtischen Plattenbau-Gebieten von besonderem Interesse.

 

Die Mitgliedszahlen in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) sinken dramatisch, etwa zwei bis dreimal so schnell wie in der übrigen Gesellschaft: „Das hat nicht allein mit der demografischen Entwicklung zu tun“, sagt Kirchenrat Thomas Schlegel, „vielmehr hat es den Ursprung einer entkirchlichten Gesellschaft: 95 Prozent aller Jugendlichen wachsen in einer nichtkirchlichen Umgebung auf“. Wenn schon nicht der Christliche Glaube so spiele Spiritualität im Alltag aber dennoch eine Rolle für die Menschen. Thomas Schlegel berichtet, es komme vor, das er gefragt wird, „zeige mir mal eine Bibel! In Mitteldeutschland sind viele Menschen ohne Kirche aufgewachsen, haben noch nie eine Bibel oder ein Gesangbuch gesehen, geschweige denn einen Gottesdienst besuchen“. Diese Menschen gilt es anzusprechen.

 

Und so geht Kirche zu den Menschen, bietet beispielsweise in Schulen und in Plattenbau-Siedlungen Gemeinschaft sowie geistliches Leben an oder ist in Jugendtreffs und in Kneipen vor Ort aktiv. In den sogenannten Erprobungsräumen wird auf Beziehungen gesetzt: „Wir schließen Räume auf und bitten die Menschen vor Ort Kirche zu gestalten!“, sagt Kirchenrat Thomas Schlegel. Es gebe keine fertigen Programme: „Wir sagen nicht, wie es geht - sondern wir sagen ganz offen, dass wir eben nicht wissen, was vor Ort geht!“

 

Ein überraschender Erfahrungswert ist: „In den Räumen, in dem es noch ein Funken kirchliches Leben gibt, lässt sich kaum etwas Neues ausprobieren“, sagt Schlegel. Besonders schwierig sei es, den Pfarrer am Ort für neue Projekte zu gewinnen: Zu oft werde dort eine Erwartungshaltung geweckt, die vorhandene kirchliche Struktur solle wiederbelebt oder der Sonntags-Gottesdienst am Ort müsse in kürzester Zeit besser besucht werden. Weitaus größere Chancen bestehen, wenn kirchliches Leben völlig danieder liegt oder nie vorhanden war, sagt der Kirchenrat. Es klingt wie ein Trost: Gesellschaftliche Umbrüche sieht der Kirchenrat durchaus als Chance für etwas Neues.

 

Sieben Kriterien für die neue Kirche

 

Der Kirchenmann hat eine Hemmschwelle bei der Verfassten Kirche ausgemacht: „Von oben steuern wollen, was von unten erst wachsen muss – das geht eben nicht!“ Es sei schlicht unmöglich, erst den rechtlichen Rahmen schaffen zu wollen für Projekte, die es noch gar nicht gäbe. Für die Modellregionen habe man als Richtschnur sich an der Anglikanischen Kirche orientiert, die lediglich nur vier Kriterien für neue Projekte kenne. Die EKM hat sieben Kriterien als Maßgabe für die Erprobungsräume: „Wenn Kirche neu entsteht, müssen Kennzeichen von Kirche zu finden sein“, sagt Kirchenrat Schlegel und nennt die sieben Kriterien: 1) Gemeinde Jesu Christi entsteht neu (communio sanctorum - koinonia), 2) sie durchbricht die volkskirchliche Logik als Parochie, vom Hauptamt oder den Kirchengebäuden, 3) sie erreicht die Unerreichten mit dem Evangelium (missional - martyria), 4) die Gemeinden passen sich an den Kontext an und dienen ihm (diakonia), 5) die freiwillig Mitarbeitenden sind an verantwortlicher Stelle eingebunden, 6) die Gemeinden erschließen sich auch alternative Finanzquellen (Fundraising gleich mitdenken) und nicht zuletzt 7) die Spiritualität nimmt einen zentralen Raum ein (liturgia).

 

Dr. Thomas Schlegel ist sicher, dass sich das EKD-Recht aufbrechen ließe: Auf einer Tagung habe er mit Kirchenjuristen darüber gesprochen, die gesagt hätten, „der rechtliche Rahmen und die Parochie (Anmerkung: Das „Pfarramtsdenken“) sei durchaus veränderbar, wenn es die Landeskirchen auch wollten“. Eher skeptisch sieht Kirchenrat Schlegel die Befristung der Projekte.

 

Die Zeit für den Beziehungsaufbau könnte knapp bemessen sein. Und: Kaum einer weiß, wie es danach weiter geht, wenn es seitens der Kirche kein Geld mehr für die Erprobungsräume gibt. „Für uns sind es ja keine Projekte, sondern Gemeinden“, sagt Thomas Schlegel. Er verweist auf Erfahrungen aus den Niederlanden: „Die Protest Kerk beweist einen längeren Atem, dort gibt es kaum ein Denken in 10-Jahres-Schritten“. Dort werden – wie jetzt auch in Deutschland – schon Pioniere ausgebildet, die solche Projekt-Gemeinden langfristig auf stabilere Beine stellen sollen.

 

Zum Abschluss des Referats findet er durchaus lobende Worte für seine Kirche in Mitteldeutschland: Es gäbe wohl keine weitere Evangelische Landeskirche, die gerne Geld ausgebe für ein Experiment, dessen Ausgang völlig offen sei.

 

Im Anschluss an das Referat beleuchtete Dekan Roland Jaeckle den kirchlichen Spielraum auf der Mittleren Ebene in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). „Es fasziniert und begeistert mich, was ich in England und mit ,fresh X‘ als Bewegung wahrnehme: die innovativen Potentiale, die missionarische Ausstrahlung, die Vielfalt an geistlichen Impulsen, die in die Gesellschaft hinein wirken können“.

 

Der Dekan sieht mit Blick auf Artikel 7 der Dekanatssynodalordnung (Erprobung neuer Organisationsformen) ein gewisses Potential, neue Wege auszuprobieren. Darin heißt es „Zur Erprobung neuer Organisations- und Arbeitsformen auf der Ebene der Dekanate kann für die Dauer von längstens sechs Jahren von den Vorschriften der Kirchenordnung abgewichen werden“.

 

Für das Dekanat an der Dill signalisierte Dekan Roland Jaeckle eine Offenheit für neue Gemeindemodelle. Der Dekan erzählte: „Das Thema begegnet mir und bewegt mich seit mehr als 20 Jahren“. Bei seinen Englandbesuchen, einer Visitation einer Gemeindepflanzung und bei seinem Studienurlaub in Greifswald habe er sich mit „Fresh X“ auseinandergesetzt. „Ich wünsche mir für uns alle hier mehr Mut, mehr Leidenschaft für die, die wir als Kirche nicht erreichen, weniger Angst vor Konkurrenz und Kontrollverlust“, sagt Jaeckle, „und vor allem wünsche ich mir und brauchen wir, dass Gottes Geist uns leitet und gerade im Jahr des Reformations-Jubiläums an vielen Stellen Erneuerung schenkt.“

 

Beim Austausch am „3. Runden Tisch“ in Herborn sagten manche der anwesenden Theologen, sie wünschten sich eine stärkere finanzielle Unterstützung ihrer Landeskirche für neue Gemeindeprojekte. So berichtete Pfarrer Peter Boucsein: „die erste Pflanzung in der EKHN in Rückeroth-Herschbach ist als privater Verein organisiert - also ohne große Unterstützung seitens der EKHN“. Gemeindepädagoge Peter Bergmann sagte, Förderkreise zu bilden, die die Personalkosten zum Teil oder ganz tragen, gerade weil es der Soll-Stellenplan der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nicht hergäbe, sei auch ein möglicher Weg die Kirche zu reformieren.

 

Der ehemalige Giessener Studentenpfarrer Holger Böckel (Frankfurt) moderierte den Netzwerk-Austausch zum letzten Mal, sein Nachfolger wird Pfarrer Armin Beck vom Referat „Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste der EKKW“.


Stichwort: Fresh X

 

Ob Kletterkirche, Gospel-Church, Jugendgemeinden, Caféthralen oder Gottesdienste in einer Bar - Fresh X bringt Initiativen vor Ort hervor. Die Vision einer Kirche in doppelter Gestalt macht deutlich: Ortsgemeinden und Fresh X sind keine Konkurrenten, sondern verschiedene Ausdrucksformen, durch die das eine Reich Gottes im heutigen Leben Gestalt gewinnen will.

 

In Deutschland wurde der Verein „Fresh X -Netzwerk" von 23 Kirchen, Verbänden und Werken gegründet. Schon seit 2011 gestalten mehr als 20 Landeskirchen, Freikirchen, Bistümer, Werke, Organisationen und Ausbildungsstätten das ökumenische und deutschlandweite Fresh X - Netzwerk.

 

Durch die Vereinsgründung wollen die Mitglieder in noch höherer Verbindlichkeit eine vielfältige und erfrischende Kirche fördern. Die Geschäftsführung des Vereins – und damit eine Art Koordinationsstelle – übernimmt die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

 

» Link:  freshexpressions.de/ueber-fresh-x/



» Bilder oben:

Kirche öffnet Erfahrungsräume: Dr. Thomas Schlegel aus Erfurt berichtete von unterschiedlichen neuen Modellen, die in Mitteldeutschland erprobt und ausgewertet werden. (Thomas Schlegel / Schlegel Thomas.jpg)

 

Offen für Neues: Dekan Roland Jaeckle hat zu mehr Mut und Leidenschaft aufgerufen, als Kirche neue Wege zu den Menschen zu suchen. (Dekan Roland Jaeckle_Fresh X.jpg)

 

Referent Dr. Thomas Schlegel (v.l.), die Moderatoren Pfarrer Armin Beck (Marburg) und Pfarrer Holger Böckel (Frankfurt) sowie Dekan Roland Jaeckle vom Evangelischen Dekanat an der Dill beim „3. Runden Tisch“ des „Fresh X“ – Netzwerkes in Hessen.

 

 


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