"Ausstrahlen und einladen"
Pröpstin Annegret Puttkammer warb vor den Synodalen für mehr Gottesdienste, weniger Gebäude und ein „Ausstrahlen und einladen“. Die Visitation habe Schätze gehoben ...
Die Synode im Evangelischen Dekanat an der Dill hat am Samstag bei der Tagung im Dorfgemeinschaftshaus Ballersbach auf die Visitation zurückgeblickt. Mit ihrem Visitations-Bericht hat die Pröpstin für Nord-Nassau, Pfarrerin Annegret Puttkammer, nicht nur die Situation in den Gemeinden im Evangelischen Dekanat an der Dill analysiert, in dem vierzehn Seiten umfassenden Bericht beschreibt sie auch gesellschaftliche Entwicklungen.
Gegen den Trend warb sie vor den Synodalen für mehr Gottesdienste, weniger Gebäude und ein „Ausstrahlen und einladen“. Die Visitation habe bestätigt, im Vergleich mit anderen Regionen der EKHN gebe es in den Gemeinden im Dekanat an der Dill einen guten Gottesdienstbesuch und auch erstaunlich hohe Zahlen an Ehrenamtlichen sowie ein bemerkenswertes Renommee in der Öffentlichkeit.
„Vielen Menschen in Deutschland wird der christliche Glaube schlichtweg gleichgültig. Sie haben nichts gegen Kirche und Religion. Aber es bewegt sie auch nicht“, sagt Pröpstin Annegret Puttkammer, „das spüren wir alle, auch die Gemeinschaften, auch der CJVM und die katholischen und evangelischen Kirchengemeinden“. Überall in Deutschland verändere sich das gemeindliche Leben. „Das ist für mich im Moment die größte geistliche Herausforderung“, sagte die Pröpstin und bat die Synodalen und Gemeindeglieder im Dekanat an der Dill, diese Herausforderungen anzunehmen.
Zunächst auch dadurch, dass jeder – egal ob Ehrenamtlicher oder Hauptamtlicher - selbst den Gottesdienst weiter hoch schätze und besuche, sagte Annegret Puttkammer. Die Gemeinden sollten weiter eine Vielfalt von unterschiedlichen Gottesdiensten anbieten und öffentlich dazu einladen. „Das Evangelium dennoch unter die Leute zu bringen, das ist unsere Aufgabe in solchen Zeiten“, sagte die Pröpstin und ermutigte dazu, weiter Gottesdienste zu feiern – und das nicht nur einmal im Monat“, sagte sie in Anspielung zu einer von Peter Scherle veröffentlichten These. Der Studiendirektor am Theologischen Seminar der EKHN in Herborn hatte vor Monaten in einem Vortrag gesagt, es gäbe zu viele Gottesdienste.
Puttkammer sagte: Es sei und bleibe weiter die Aufgabe der Gemeinden, Kranke zu trösten, Kita-Kinder zu fördern und Eltern zu beraten, Flüchtlinge zu begleiten und Nachbarschaftshilfen zu initiieren. „Den Durst nach seinem Wort wecken, diese Sehnsucht wachrufen – das allein ist Gottes Sache“, sagte die Pröpstin. Sie räumte ein, dass die Art, wie Gemeinden Gottesdienst feiern und gestalten, sich ändern werde, „weil sich die Menschen ändern, ihre Sprachwelt und ihr Lebensstil“.
Die Pröpstin begrüßte die Vielfalt von klassischen und modernen Gottesdiensten, die im Evangelischen Dekanat angeboten werden. Sie sagte, Christoph Gerken, der die Visitation seit Ende 2016 begleitet habe, sei beeindruckt gewesen von einer großen evangelischen Vielfalt, die er so selbst als evangelischer Gemeindepfarrer aus dem Frankfurter Umland nicht kannte.
Die Visitation habe auch für die Pröpstin viele Schätze gehoben: „Die bunte Gemeindevielfalt und Fülle von Angeboten ist in der EKHN ein Alleinstellungsmerkmal. Und auch bundesweit eher selten“, sagt die Pröpstin, „das sei ein Zeichen dafür, dass diese Region gesegnet ist mit einer tiefen Sehnsucht, mit einem großen Durst nach Gott“. Sie dankte den Lektorinnen und Prädikanten für zuverlässigen Predigtdienst – nicht nur in den Vakanzen.
Angesichts bevorstehender Veränderungen bei der Pfarrstellenbemessung schlug Annegret Puttkammer den Gemeinden vor, den in der Visitation begonnenen Dialog weiter fortzuführen: „Die Vertreter der Gemeinden, die mehrere Gottesdienstorte haben, sollten sich einmal zusammensetzen und einander ihre Varianten vorstellen“, sagte Puttkammer, „denn künftig werden wir mit der Ressource Pfarrer, Prädikantin, Organist anders umgehen müssen als bisher“.
Durch den Erfahrungsaustausch bei Chor-Projekten, in Frauenkreisen oder bei wechselseitigen Kirchenvorstandssitzungen könnten neue interessante Wege beschritten werden, sagte die Pröpstin: „Wir müssen nicht das Rad immer selbst neu erfinden!“ Sie lud die Kirchengemeinden ein, sich stärker um eine gute Nachbarschaft mit den angrenzenden Gemeinden zu bemühen, sich wechselseitig einzuladen, damit langfristig eine Entlastung für die Pfarrkollegen deutlich spürbarer wird.
Der Kirche werde oft eine „Milieuverengung“ vorgeworfen, also dass Kirche immer nur eine bestimmte kleine Gruppe von Menschen in den Gottesdiensten erreiche, sagte Pröpstin Annegret Puttkammer, sie habe bei der Visitation und mit Blick auf die Gottesdienstlandschaft einen „Milieureichtum“ erkennen können. Allein über die kirchliche Kindertagesstätte und über die Konfirmandenarbeit erreichen die Gemeinden viele Bevölkerungsschichten.
Große Sorgen bereiteten der Pröpstin der Gebäudebestand in den Kirchengemeinden: „Es gibt in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) rund 4000 Gebäude, dazu zählen Kirchen, Pfarrhäuser, Gemeindehäuser und Kitas“. Die meisten Gebäude seien zwischen 1950 und 1980 entstanden, es bestehe großer Sanierungsbedarf. Angesichts der jährlich um 1,5 Prozent sinkenden Mitgliederzahlen gäbe es aber auch zu viele Gebäude in der EKHN.
Gemeinsam mit Dekan Roland Jaeckle habe sie sich eingesetzt, dass ein Antrag, den die Dekanatssynode im vergangenen Jahr gestellt hat, auch in mehreren kirchensynodalen Ausschüssen behandelt worden sei. „Der Erfolg ist, dass wir in der EKHN für den Bereich Bau fünf Millionen Euro zusätzlich in den kommenden Haushalt einstellen werden“, sagte Puttkammer. Allerdings reiche auch diese Summe nicht aus für den Erhalt aller Gebäude.
In ihrem Visitationsbericht stellte sie den Synodalen einen Orientierungsrahmen zur Reduzierung von Gemeindegebäuden vor.
Hintergrund Visitation
Die Visitation ist eine Besonderheit in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Regelmäßig, etwa alle acht bis zehn Jahre, werden alle Kirchengemeinden, Dekanate und Dienste der EKHN flächendeckend von der Propstei als Teil der Kirchenleitung visitiert.
In dem gut zwei Jahre währenden Prozess von 2017 bis 2018 im Dekanat an der Dill war der Austausch zwischen Gemeinden aus unterschiedlichen Regionen des Dekanats oder mit anderen Gemeinden aus dem Westerwald geführt worden. Die Besuchsgruppen kamen entweder aus einer anderen Gemeinde desselben Dekanats oder sie wurden aus einem anderen Dekanat von der Pröpstin berufen.
Für den Austausch im Dekanat und den Diensten ist extra eine „all in one-Visitation“ erfunden worden. Die Mitarbeitenden haben sich für einen Tag in der Konferenzhalle zum Dialog mit Mitarbeitenden aus dem Dekanat Vorderer Odenwald getroffen (hjb).
» Unser FOTO:
Pröpstin Annegret Puttkammer (links) hatte zur Synode ihren gedruckten Visitationsbericht für die Kirchenvorstände in den visitierten Kirchengemeinden mitgebracht. Pfarrerin Sonja Oppermann (rechts) ist von der Dekanatssynode als stellvertretendes Mitglied für die EKHN-Kirchensynode gewählt worden. FOTO: DEKANAT / BECKER-VON WOLFF
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