Nur wer hinsieht...

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Wie jedes Jahr? fragt Thomas Gessner. Er lädt in seinem Impuls ein, genauer hinzusehen ...

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Eine dunkle Ecke, abends spät. Nur ein kleines Licht brennt. Wer näher ran geht, erkennt eine Kerze in einem Fenster. Wer noch näher kommt, sieht eine kleine Krippe. Josef beugt sich über das Kind, im Hintergrund Ochs und Esel. Maria sitzt mit einem versonnenen Lächeln daneben. Die Kerze steht ganz nah beim Kind. Es ist, als würde sein Gesicht leuchten.

 

Ein Heiliger Abend, alle Jahre wieder. Nachrichten reden von Gewalt im Nahen Osten und von der Hoffnung auf Frieden: Ein alt gewordenes Ehepaar sitzt vor dem Fernseher. Er: „Das ist wie früher“. Sie: „Hör doch auf, vom Krieg zu erzählen“. Er: „Das meinte ich doch gar nicht. Ich meinte, wie vor 20 Jahren“. Gleichzeitig in einer Kirche: Das Krippenspiel. Die Engel singen gerade „und Frieden auf Erden“. Fast ein bisschen, wie das kleine Licht in der dunklen Ecke.

 

Wer an Weihnachten hinsieht, erkennt das Unbegreifliche: Die Macht, die alles hält, kommt zu uns. Gott wird einer von uns. Er kommt in eine Welt, die alles andere als perfekt ist. Eine Welt voller Ungerechtigkeiten und Fehler. Und er kommt - nicht mit Macht und auch nicht mit Heeren von Engeln, die den Soldaten die Waffen abnehmen und den Mächtigen Paroli bieten. Er kommt als kleines, hilfloses Kind.

 

Das Wort, das Galaxien hat entstehen lassen, kommt und macht sich selbst ohnmächtig. Die Macht, die die Welt im Innersten zusammen hält, kommt als Menschenkind, und hat als Machtmittel nur sein Lächeln und seine Hilflosigkeit. Sein Machtmittel ist das Wort und die Liebe. Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

 

Das kleine Licht, das da in der Ecke brennt, reicht. Wer wissen will, was los ist, geht dorthin und guckt. Und weiß: hier hat mein Leben seinen Sinn.

 

Thomas Gessner ist evangelischer Pfarrer in Hörbach.

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