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19.09.2016

"Probieren Sie es aus!"

Chancen für das Miteinander im Alter: In Dillenburg warb Henning Scherf für Alternativen zum Pflegeheim. Er ermunterte zum Ausprobieren ...

 

In Dillenburg warb der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf für das Zusammenleben von mehreren Generationen. Den Vortrag zum Älterwerden unter dem Titel „Gemeinsam statt einsam – Meine Erfahrungen für die Zukunft“ hat Scherf auf Einladung des Evangelischen Dekanats an der Dill und des DRK-Kreisverbandes Dillkreis in den Räumen der Freien-Evangelischen Gemeinde (FeG) Dillenburg gehalten.

 

Etwas überrascht waren die etwa hundertfünfzig Zuschauer schon, als Henning Scherf (77) zu Beginn der Veranstaltung die Menschen einzeln mit Handschlag begrüßt. Herzlichkeit strahlt der hochgewachsene ehemalige Bremer Bürgermeister aus. Er sei das erste Mal als Redner in Dillenburg und habe sich prompt erinnert als Jugendlicher auf einer seiner vielen Radtouren schon mal durch Dillenburg gefahren zu sein.

 

Auf Einladung von Kantor Wolfgang Schult aus Frohnhausen war er zu Gast in Dillenburg. Die beiden Männer kennen sich aus den 1960er Jahren. Begegnet waren sie sich damals in Bremen.

 

In Dillenburg warb Henning Scherf für das Zusammenleben von mehreren Generationen, wie er es schon seit über 30 Jahren mit seiner „Wahl-Familie“ mitten in Bremen lebe.

 

Beeindruckt zeigt er sich von neuen Formen des Zusammenlebens, wie er es beispielsweise am Vormittag in dem neuen Altenzentrum des DRK in Dillenburg-Frohnhausen gesehen habe. Im Pflegezentrum hatte er eine Wohngemeinschaft besucht, in der die Menschen aktiv beim Zubereiten der Mahlzeiten eingebunden sind. Gemeinsam kochen und essen ist für Henning Scherf ein wesentlicher Schlüssel für das Zusammenleben, wie er später betonte.

 

„Wir sind Glückspilze“, sagte er scherzend, „vor einhundert Jahren hätten wir in dem Alter schon längst auf dem Friedhof gelegen. Aber heute sind wir unternehmungslustig“. Die Lebenserwartung steige, doch mit dem Demografischen Wandel greifen frühere traditionelle Antworten der Pflege nicht mehr. „Immer mehr Altenheime bauen kann keine Lösung sein, zumal die Pflegefachkräfte fehlen“, sagt Scherf. Er habe von 300.000 fehlenden Fachkräften in Deutschland gelesen. Und: Schon heute koste in Bremen die Versorgung in der Pflegestufe III etwa 4500 Euro im Monat. Er wolle es nicht beschreien, aber es sähe wie ein Pflegenotstand aus.

 

Angesichts dieser Situation wäre es Wert zu überlegen, wie wir das Alter gestalten möchten. Es gäbe durchaus Alternativen zum Pflegeheim. Er und seine Frau wären noch keine 50 Jahre alt gewesen, da hätten sie begonnen für sich nach Alternativen zu suchen. Die drei Kinder waren gerade aus dem Haus und das führte zu der Frage: Was machen wir jetzt mit den Kinderzimmern, den Räumen, die wir langfristig nicht mehr brauchen? Wie wollen wir im Alter leben?

 

Gemeinsam mit Freunden, denen es ähnlich ging, entstanden erste Pläne. „Vom Eigentum sollte man sich trennen, wenn es zur Last wird. Dann ist der Punkt gekommen, um etwas im Leben zu ändern“, sagt Scherf. 1987 war es dann soweit: Drei Ehepaare und etliche Singles kauften gemeinsam ein großes Haus - mitten in der Bremer Innenstadt.

 

Das Haus wurde umgebaut, es entstanden auf drei Etagen einzeln abgetrennte Wohneinheiten. Ziel war es, selbstbestimmt zu leben und das in einer selbst gewählten Gemeinschaft mit anderen. „Ursprünglich hatten wir die Idee einer gemeinsamen Küche“, sagt Scherf, „da sich das nicht baulich realisieren ließ, hat jeder Wohnbereich eine eigne Küche erhalten.“ Es stellte sich als Glücksfall heraus, denn bis heute laden sich die Hausbewohner wechselseitig zum gemeinsamen Essen ein.

 

Das gemeinsame Kochen in den Wohnungen sei eine Klammer für den Zusammenhalt in der Hausgemeinschaft. Feste wie Weihnachten und Ostern werden gemeinsam groß gefeiert. Da wachse die Zahl der sonst acht Hausbewohner schnell auf 30 Menschen an, die gerne im Haus als Gäste beherbergt werden. Wichtig sei es, das mehrere Generationen unter einem Dach leben. „Jung und Alt können sich wechselseitig motivieren und mobilisieren“, sagt Scherf. Zieht jemand aus, wird von den übrigen Hausbewohnern der Nachfolger oder die Nachfolgerin einvernehmlich gewählt. Anfragen gäbe es genug.

 

Mit den Jahren sind die Bewohner zu einer tragenden Gemeinschaft zusammengewachsen. „Die Nagelprobe trat nach zwei Jahren ein, als eine unserer Bewohnerinnen, eine Frau um die 50, ein Pflegefall wurde und sagte: Ich möchte, dass ihr mich pflegt!“ Henning Scherf war jede 9. Nacht dran und habe das positiv erlebt, wie auch Lasten gemeinsam getragen werden. „Die Frau ist in unserer Mitte gestorben“, sagt Henning Scherf und fügt an, das er das auch für sich so wünsche. „Es ist die Struktur drum herum, die trägt und die einen in der Gemeinschaft hält.“

 

Eine weitere Klammer sei die Mobilität: „Wir hatten ursprünglich sieben Autos und haben es geschafft, uns auf ein Auto zu beschränken“, erzählt Henning Scherf und ergänzt sofort: „Das ist keine Empfehlung für die ländliche Region, in der sie leben“. In Bremen sei alles fußläufig oder mit dem Rad zu erreichen, das Auto werde nur für größere Einkäufe und Besorgungen benötigt und stünde für den Notfall vor der Tür. Wer es braucht, muss es vorher mit den anderen Bewohnern absprechen. Das Haus mit dem blühenden Garten, so Scherf, soll auch nach außen ein Signal setzen: „In unserem Viertel sind wir das einzige Haus, das noch einen Vorgarten und Garten besitzt. Alle anderen haben Parkplätze für ihre Autos angelegt“.

 

In dem lebendig vorgetragenen Referat, bei dem Henning Scherf mit einem Mobilfunk-Mikrofon unmittelbar vor den Menschen in den Stuhlreihen auf und ab ging, sprach er von weiteren alternativen Formen des Zusammenlebens, wie es derzeit von vielen Wohnbaugenossenschaften entdeckt und umgesetzt werde. „Die Idee mache Schule“, sagte er und lobte das Engagement der evangelischen Kirche, die über das Matthias-Claudius-Sozialwerk und deren Stiftung mitten in Bochum mit den „Claudius-Höfen“ alte Industrie-Brachen neu belebt. Dafür habe das kirchliche Projekt mehrere Preise erhalten.

 

An den anwesenden Bürgermeister aus Sinn, Hans-Werner Bender, gerichtet sagte Henning Scherf, alte Industriebrachen oder Schandflecke im Ort eigneten sich wunderbar für neue Mehr-Generationen-Wohn-Projekte. Es sei eine Chance, Schmuddel-Ecken aufzupolieren. Henning Scherf schätzt, es gäbe in Deutschland etwa 30.000 Projekte von generationsübergreifenden Zusammenleben, die den Menschen helfe, sich gegenseitig zu stützen. Dazu zählten aber auch Dorfläden, Arztmobile und weitere Gemeinwesen-Projekte.

 

Zum Abschluss des 90minütigen und sehr lebendigen Vortrags antwortet Henning Scherf auf Fragen aus dem Publikum. So skizzierte er mit wenigen Schritten, wie aus einer guten Nachbarschaft ganz praktisch eine selbst gewählte Lebensgemeinschaft werde könne: Wichtig wäre, erstmal Kontakt zum Nachbarn aufzunehmen. „Sich nicht hinter Hecken und Zäune zu verkriechen“, so Scherf. Im Wechsel könnte man sich in der Nachbarschaft zum Essen einladen: „Und damit meine ich nicht, bloß zu Kaffee und Kuchen“, sagt Scherf, „über das gemeinsame Kochen entsteht Nähe und das hilft, sich richtig kennenzulernen“.

 

In einem anderen Ort habe Henning Scherf bei einem Vortrag sieben Frauen kennengelernt, die lose in Kontakt zueinander standen. Er hat auch ihnen das gemeinsame Kochen empfohlen (Scherf: „Das passt doch prima, da können Sie jeden Tag der Woche woanders essen!“), darüber haben sich die sieben Frauen besser kennengelernt und schließlich auch die Haustürschlüssel ausgetauscht. Kommt eine der Frauen nicht zum geplanten Essen, wird sie von den Frauen aufgesucht. Fährt eine der Frauen mal in Urlaub, kümmern sich die anderen um die Blumen und die Post. Ist eine der Damen krank, wird sie von den anderen zum Arzt gefahren oder gepflegt.

 

Das sei der richtige Weg, um aus einer Nachbarschaft eine tragende Gemeinschaft entstehen zu lassen, sagt Scherf. Und: Wer mit anderen ein gemeinsames Haus beziehen möchte, sollte im Vorfeld testen, ob das Zusammenleben wirklich funktioniert: „Fahren Sie dazu einfach gemeinsam in den Urlaub in ein Selbstversorgerhaus, wo Sie alles gemeinsam bestreiten müssen. Da merken Sie schnell, ob es klappt oder nicht!“

 

Zur Person
(QUELLE: WIKIPEDIA)

 

Henning Scherf (* 31. Oktober 1938 in Bremen) ist ein deutscher Politiker (SPD). Von 1995 bis 2005 war er Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen. Von 1971 bis 1978 war Scherf Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, von 1978 bis 2005 Mitglied der Landesregierung. Seit 2005 ist Scherf Präsident des Deutschen Chorverbandes. Scherf wuchs mit seinen sechs Geschwistern in der Bremer Neustadt auf, wo der Vater eine Drogerie betrieb.

Aus der ersten Ehe des Vaters stammten drei Geschwister, unter ihnen der Wirtschaftswissenschaftler Harald Scherf. Der Vater heiratete ein zweites Mal; in der Ehe wurden drei Söhne geboren, darunter Henning Scherf. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie zweimal ausgebombt und zog zu den Großeltern nach Osterholz-Scharmbeck in die Teichstraße. Erst 1948 konnte die Familie in die Osterstraße in der Bremer Neustadt zurückkehren.

 

Scherf ist mit Luise Scherf verheiratet, beide haben drei Kinder und neun Enkel. Eine Schwiegertochter ist die Hamburgerin Julia Scherf, Richterin im Gerichtsbezirk Itzehoe und TV-Moderatorin. Henning Scherf lebt mit seiner Frau Luise in einer Senioren-Wohngemeinschaft in der Bremer Innenstadt, die er 1987 mit zehn Freunden gegründet hat und die er als „Wahlfamilie“ bezeichnet. Er wirbt für diese Art des Zusammenlebens und empfiehlt sie als Chance für die alternde Gesellschaft. Seit 2006 ist er Vorstandsvorsitzender von Pan y Arte, Münster als Nachfolger von Dietmar Schönherr. Er wirbt um Spenden zur Förderung von Kulturprojekten in Nicaragua.

 

» Bilder oben:

Henning Scherf hielt es nicht am Redner-Pult: Er suchte bei seinem Referat den Kontakt zu den Menschen. Gerne gab er das Funk-Mikro durch die Reihe, um Fragen zu sammeln.

 

In Dillenburg warb Henning Scherf für Alternativen zum Pflegeheim: Ein Schlüssel sei das Zusammenleben von mehreren Generationen unter einem Dach.

 

Großer Andrang bei der Autogramm-Stunde im Anschluss an den Vortrag. Henning Scherf will alle Einnahmen aus dem Buchverkauf nach Nicaragua spenden.

FOTOS: BECKER-VON WOLFF

 

 


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